Handarbeit

Handarbeit in den Klassen 1 bis 6
Durch die Schönheit die Wahrheit erobern

Man  könnte  ein  ganzes  Buch  zum  Thema  Handarbeit  an  der  Waldorfschule  schreiben,  so  wie  es  die erste Handarbeitslehrerin der Uhlandshöhe in Stuttgart, Hedwig Hauck, auch getan hat. Sie wurde ein Jahr nach der Gründung der ersten Waldorfschule im Jahr  1920  von  Rudolf  Steiner  berufen,  Handarbeit und  Kunstgewerbe  zu  unterrichten  und  er  machte zahlreiche Angaben zu diesem Unterricht.

Handarbeit  ist  mehr  als  nur  Stricken,  Häkeln,  Sticken,  Nähen,  Spinnen  und  Weben.  Handarbeit  hat auch  zu  tun  mit  Farbempfinden,  Schönheit  und Formgebung.  Im  „Pädagogischen  Jugendkurs“  sagt Rudolf Steiner 1922: „Diejenigen Menschen werden niemals ein Vollmenschliches in sich aufnehmen, das sie wappnet gegenüber den Anforderungen des Lebens,  die  nicht gelernt  haben,  durchzugehen  durch die Schönheit und sich durch die Schönheit die Wahrheit zu erobern.“

Gleich in der ersten Klasse lernen die Kinder rechte Maschen zu stricken. Mit einer schönen Geschichte werden  sie  zuerst  an  den  Werkstoff  Wolle  herangeführt.  Ungewaschene  Schafwolle,  die  noch  ganz fettig ist und der man ansieht, wo das Schaf überall herumgestreift  ist,  wird  gewaschen  und  mit  einer ganz  einfachen  „Spindel“,  einem  Holzstöckchen, spinnen die Kinder das erste Fädchen, das dann an die  erste  Arbeit  mit  einem  Namensschildchen  gebunden werden kann. In der ersten Klasse können ein  Ball  oder  aber  auch  ein  Flötensäckchen,  eine Puppenwiege, Zwerge, Vögelchen gestrickt werden. Und bei jeder Arbeit bedenkt man die Farbgebung. Wo  kommt  die  dunkelste  Farbe  hin,  wo  die  hellste? Ist die dunkelste Farbe eher schwer oder leicht? Das  sind  Fragen,  die  man  mit  den  Kindern  schon bewegen kann.

In  der  2.  Klasse  lernen  die  Kinder  linke  Maschen zu  stricken  und  sie  lernen  einen  neuen  Werkstoff kennen, die Baumwolle. Topflappen mit einem einfachen  Muster  aus  rechten  und  linken  Maschen entstehen, die dann umhäkelt werden. Das ist der Übergang zu einer neuen Technik, dem Häkeln. Ein Ballnetz entsteht und auch hier wird wieder die Frage bewegt, wie werden die Farben angeordnet?

In der  3.  Klasse  stellen  die  Kinder  das  erste  Mal  ein Kleidungsstück  her,  nämlich  eine  Mütze.  Sie  wird entweder  gestrickt  oder  gehäkelt.  In  der  dritten Klasse beginnen die Kinder ein neues Verhältnis zur Welt  zu  bekommen,  wir  nennen  das  den  Rubikon oder die „Mitte der Kindheit“.

In der 4. Klasse sind die meisten Kinder über diesen Punkt  schon  hinweg  und  man  knüpft  das  neue  Lebensalter mit Kreuzstichen fest und übt das exakte Nähen  mit  der  Hand.  Socken  mit  einem  Nadelspiel werden dann in der 5. Klasse gestrickt. Da muss man ganz schön wach sein, um immer mit der richtigen Nadel weiterzustricken – und ist der Weg des Fadens nicht auch ein bisschen wie der Faden der Ariadne in der griechischen Sage?

Ein  ganz  anderes  Thema  wird  dann  in  der  6.  Klasse wichtig. Von Hand wird eine Puppe oder ein Tier genäht.  Die  Puppe  ist  ein  Abbild  des  Menschen,  da müssen die Proportionen stimmen und es wird keine  Kleinkindpuppe.  Wenn  dann  der  Nachbar  Herr Rein von den Plastizierern hereinschaut und sagt, da säßen  ja  seine  zukünftigen  Plastizierer,  spätestens dann  wird  den  Sechstklässlern  klar,  wie  wichtig  es ist, erst einmal eine Puppe aus Stoff zu nähen. Hedwig  Hauck  hatte  noch  nicht  so  schönen  elastischen Trikot; wer einmal einen Blick in das Archiv der Uhlandshöhe werfen darf, der staunt nicht schlecht, mit welch  einfachen  Mitteln  damals  gearbeitet  wurde und dennoch Frau Hauck den Anspruch an Schönheit verwirklichen konnte.

Nähen

Nach dem ersten Kennenlernen von Bau und Funktionsweise der Nähmaschine geht es ans erste Nähen. In der 7. Klasse entstehen erste Taschen und nützliche Koch- oder Handwerkerschürzen.

In  der  8.  Klasse  lernen  die  Schüler  einfache  Kleidungsstücke  zu  schneidern.  Dazu  gehören  selbstverständlich auch sämtliche Vorbereitungen wie das Maßnehmen,  das  Zeichnen  der  Schnitte,  das  Auswählen  und  Zuschneiden  des  Stoffes.  Der  Höhepunkt  ist  in  dieser  Jahrgangsstufe  die  Herstellung der  Kostüme  für  das  Klassenspiel.  Den  Abschluss des Schuljahres bildet eine Modenschau mit eigenen Kreationen.

Birgit Kohn
Kathrin Bäuerle