Bewegliches Klassenzimmer

bewegliches_klassenzimmer

Ein Erfolgskonzept für alle Beteiligten

„Hier sieht es ja gar nicht wie in einem Schulzimmer aus!“
Dieser Ausruf wurde schon manchem Besucher unserer Waldorfschule entlockt, der die erste, zweite und  dritte  Klasse  sah.  Tatsächlich  fehlen  in  diesen drei Klassenzimmern die klassischen Schultische und Stühle, stattdessen stehen da Bänkchen und es gibt ein Regal, gefüllt mit schönen großen Lederkissen.

Seit  fast zehn  Jahren  wird  in  den  Klassen  eins  bis  drei nach dem Modell „Bewegliches Klassenzimmer“ gearbeitet. Es wird auch „Bochumer Modell“ genannt,  da  die  Waldorfschule  in  Bochum-Langendreer  eine der ersten Schulen war, die dieses Modell umsetzte. Vorher  hatten  es  auch  schon  die  Windrather  Thalschule  und  die  Schule  von  Pär  Ahlbohm  in  Järna/Schweden  praktiziert.

Herzstück  des  ganzen  Konzeptes  sind  die  „Bänkchen“.  Sie  sind  wahre  Verwandlungskünstler.  Wenn  sie  umgedreht  werden,  kommt unter jedem Bänkchen ein Balancierbalken zum Vorschein. Sonst sind sie alles Mögliche. Natürlich erst mal zum Draufsitzen. Dann sind sie Tisch,  dann  aber  auch  wiederum  Baumaterial  für  den  so genannten  „Parcours“.  Der  ist  nämlich  aufgebaut, wenn die Kinder morgens in die Schule kommen. Auf  so  einem  Parcours  kann  balanciert,  geklettert und gerutscht werden und auch mal drunter durch gekrochen  werden.  Nach  einer  bestimmten  Ankommzeit wird der Parcours abgebaut – die Kinder packen  mit  an  und  stellen  die  Bänkchen  in  einen Kreis.  Alle  Kinder,  der  Klassenlehrer  und  die  Klassenhelferin finden auf diesem Bänkchenkreis Platz.

1Klasse

Nun  können  sich  alle  richtig  wahrnehmen,  keiner sieht  von  seinem  Mitschüler  nur  den  Rücken.  Man kann sich von Angesicht zu Angesicht begrüßen und vom  Vortag  erzählen.  Während  des  so  genannten rhythmischen Teiles, wenn die Kinder also Lieder singen oder Gedichte sprechen, sieht der Lehrer beim Bewegen das ganze Kind, weil kein störender Tisch dazwischen ist. Bewegung ist in so einem Klassenzimmer  auf  sehr  unterschiedliche  Weise  möglich.

Im so genannten Lernteil kann der Platz im Inneren des Kreises gut genutzt werden, um beispielsweise beim  Formenzeichnen  die  Formen  erst  zu  laufen,  bevor man sie zeichnet. Beim Rechnen kann in dieser Mitte sehr schön eine Rechenaufgabe mit allerlei Bildern oder den Kissen entwickelt werden.  Das  bewegliche  Klassenzimmer  bietet  für  die  Sinnesschulung  vielerlei  Möglichkeiten.  Da  die  Sinne des  Menschen  seine  Tore  zur  Welt  sind  und  unsere  Lebensgewohnheiten  dem  Kind  wenig  Gelegenheiten  geben,  die  Sinne  am  direkten  Kontakt  mit der Umwelt auszubilden, kommt diese Aufgabe im vermehrten  Maße  auf  den  Kindergarten  und  die Schule zu. Wenn auch die Waldorfkindergärten unseres  Einzugsgebietes  sehr  gute  Voraussetzungen schaffen,  indem  sie  mit  den  Kindern  viel  ins  Freie gehen,  über  Stock  und  Stein  oder  Seil  springen,  reicht das in der heutigen Zeit oft nicht mehr aus.

Wir  haben  in  der  ersten  Klasse  immer  deutlicher wahrgenommen,  dass  nicht  mehr  alle  Kinder  hüpfen können, die Wahrnehmung des Raumes manchmal recht schwer fällt und es auch wichtig ist, dass die  Kinder  sich  kennen  lernen  und  eine  Sozialgemeinschaft  werden.  Das  gelingt  einfacher,  wenn sich  die  Kinder  sehen  können.  Die  Aufmerksamkeitsspannen sind kurz genug, sodass auch ein unruhiges  Kind  nicht  ständig  ermahnt  werden  muss.  Auch beim Sitzen im Kreis können die Klassenhelferin und der Klassenlehrer sich unauffällig neben ein unruhiges Kind setzen oder unruhige Kinder können auseinander gesetzt werden. So umgeht man, dass  ein Kind ständig mit „…jetzt sei doch mal still“ verbal  ermahnt  wird  und  dadurch  oft  die  Problematik der unruhigen Kinder noch verstärkt wird.

Wenn  die  Kinder  in  ihr  Heft  schreiben,  werden  die Bänke noch einmal umgebaut. Wir nennen das den „Omnibus“, denn nun werden die Bänkchen in „Reih und Glied“ gestellt, sodass alle Kinder gut zur Tafel schauen  können.  Jetzt  wird  so  ein  Bänkchen  zum Tisch und die Kinder holen sich ein Kissen, auf dem sie  wie  auf  einem  Pferdchen  sitzen.  Auf  den  Kissen  sitzen  die  Kinder  gut,  sie  können  viel  weniger krumm sitzen, als man das so auf den ersten Blick denkt.  Gekippel  wie  auf  einem  Stuhl  ist  erst  gar nicht möglich.

Wir haben das „Bewegliche Klassenzimmer“ nicht für jeden Erstklasslehrer verbindlich gemacht, denn jeder muss sich das selbst zutrauen und auch wollen. Jedoch  hat  in  den  vergangenen  fünf  Jahren  jeder Erstklasslehrer mit diesem Konzept angefangen und wir wollen es alle nicht mehr missen. Es ist so schön zu erleben, mit welcher Bewegungsfreude die Kinder in den drei unteren Klassen ausgestattet sind und da liegt es nahe, dass wir sie da abholen, wo sie sind.

Birgit Kohn